Guter Rat ist Günstig

Dieser Beitrag ist gut gemeint – und man sagt ja, nichts ist schlimmer als gut gemeint. Deshalb: Wer berechtigterweise kein Interesse an gut gemeinten Ratschlägen hat, darf hier einfach aufhören zu lesen.

Der Hintergrund: 1994 war ich gerade ein Jahr in Köln, als ich mein erstes Quintett mit Matthias Erlewein, Nils Wogram, Dietmar Fuhr und Jochen Rückert gründete. Eigentlich ist gründen das falsche Wort – es begannen nur einige Sessions in Jochens Proberaum unter der Severinsbrücke, zu denen ich als noch recht unerfahrener Musiker einen Stapel eigener Stücke mitbrachte.

Das war damals ungewöhnlich, doch die Kollegen waren wohlgesinnt und spielerisch offen. Einzig Matthias Erlewein zeigte sich skeptisch angesichts meiner Haltung – eine Mischung aus Unwissenheit, jugendlichem Übermut und Selbstbewusstsein. Er hatte damals eine klare Botschaft: …das ist eine Session, keine Probe! Damals verstand ich das nicht.

Nach der Session nahm mich Matthias beiseite und bot mir eine Lektion in musicianship an. Wenig später trafen wir uns im Café Schmitz am Eigelstein, und er erklärte mir die Welt – seine Sicht auf das Musiker-Dasein, das Aufnehmen einer CD, das Planen einer Tour, das Proben, kurz: alles, was dazugehört.

Für mich war dieses Treffen schmerzhaft und lehrreich, weil ich kaum eine Ahnung hatte, was es bedeutet, Musiker in Köln zu sein. Heute bin ich ihm dankbar, dass er sich die Zeit nahm, mir als grünem Anfänger die Dinge geradezurücken. Es war das erste Mal, dass ich 1.) eine so umfassende Lektion erhielt und 2.) so beeindruckt war, dass ich schweigend zuhörte. Später versuchte ich, so viel wie möglich davon umzusetzen – und erinnerte mich immer wieder daran.

Natürlich wurde mir später klar, dass Matthias‘ Sicht nicht die meine sein musste. Doch sie gab mir einen Startpunkt für eigene Überlegungen, vermittelt von einem erfahreneren und vielleicht weiseren Musiker.

Und heute? Ich habe die fünfzig überschritten, unterrichte an der Hochschule für Musik Köln und kämpfe immer noch mit ähnlichen Problemen – allerdings in einer veränderten Gesamtsituation, ganz typisch für einen zumindest noch teilweise freiberuflichen Jazzmusiker.

Nun bin ich der alte Sack und durch meinen Job bleibe ich nahe dran an den jungen Grünschnäbeln, wie ich es vor dreissig Jahren war. Manchmal wünsche ich ihnen ein vergleichbares Erlebnis: Dass sich ein erfahrener Musiker Zeit nimmt, um Zusammenhänge zu erklären, die in den Zwanzigern vielleicht noch nicht klar sind.

Doch das Internet hat die alten persönlichen Gespräche weitgehend ersetzt. Solcherart One-on-One-Auseinandersetzungen werden rar – vielleicht schade, vielleicht unbemerkt.

Wer heute als Jazzmusiker bestehen will, muss sein eigenes Ding machen. Anrufe für Jobs gibt es kaum noch. Das ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, die der Kunstform nutzen kann. Doch gleichzeitig fehlen die Lektionen, die Kritik und der Austausch mit erfahreneren Musikern. Das führt bei vielen zu einem Vakuum an Orientierung.

Man soll sich täglich neu erfinden – und hat dennoch kaum Hilfe dabei.

Zum Teil füllen Hochschulen und Studienkollegen dieses Vakuum, doch echte Kritik bleibt kaum möglich, da alle im selben Boot sitzen. Das Handwerk wird gelehrt, aber Richtung und künstlerische Haltung selten vermittelt.

Ganz besonders spürbar wird das bei der ersten CD-Aufnahme oder der Gründung der ersten eigenen Band. Wer das erste Mal eine Aufnahme macht, steht vor zahllosen Fragen: Was soll ich aufnehmen? Wer spielt mit? Tempo, Tonarten, Reihenfolgen, Labelwahl, Takes – eine Million Entscheidungen.

Mein Rat: Selbst wenn man weiß, was man will, selbst wenn man sich nicht reinreden lassen möchte und ein klares Konzept hat, sollte man vor der Aufnahme unbedingt eine zweite Meinung eines erfahrenen, geschätzten Musikers einholen. Nicht, um sich umstimmen zu lassen, sondern um eine ergänzende Perspektive zu gewinnen. Gerade bei der ersten Studioaufnahme kann das unbezahlbar sein. Auf dem Markt findet man oft jemanden, der das für wenig oder sogar kein Geld anbietet.

Ich kenne viele Aufnahmen junger Musiker, denen genau diese Kontrolle, Inspiration und Fremdperspektive fehlt – und die dadurch weniger als ihr Potenzial erreichen. Das ist sehr schade.

Diese Lektion begleitet einen ein Leben lang – weit über die eigene CD hinaus - In Pop und Rock hat man das schon lange verstanden, deshalb gibt es dort Produzenten.