Gregory Porters Hut

Anmerkung: Dieser Text ist von 2012

Gregory Porter – warum trägt er diesen Hut?

Diese Frage beschäftigt mich in zweifacher Hinsicht: wörtlich bezüglich der Kopfbedeckung und metaphorisch hinsichtlich seines Debüts in der Jazzwelt, wie es oft beschrieben wird.

Warum interessiert mich das überhaupt? Die Vermarktung von Jazz verschiebt sich seit Jahren hin zum Pop. Nicht mehr die Musik steht im Zentrum, sondern scheinbar unverzichtbare Attribute wie Emotion, Charisma oder Klischees – Eigenschaften, die jedem Künstler unterstellt werden können, sobald jemand sie behauptet. Gregory Porter verkörpert für mich diesen neuen Jazztyp. Aber der Reihe nach.

Der Hut
Ich bin in die Falle getappt: Sein Kinn-Bart-Hut-Look hat mich neugierig gemacht – dafür schäme ich mich etwas. Die Erklärungen:

„It’s my jazz hat... In the tradition of the music, there have been some great hats, and I’m throwing my hat in the ring.“ (iCrates.com)
„The hat... is as heavy as a T-shirt... It’s just a bit of my personal stuff.“ (triblive.com)

Ein modischer Gimmick also, wie Kiss-Gesichter, Elton-John-Brillen oder Madonnas Pyramiden-BH. Denken wir an Coltranes Hose, Bill Evans’ Schuhe, David Binneys Brille? Wurden Palle Danielssons Bart oder Joe Lovanos Frisur je thematisiert? Bis vor Kurzem war das Fachpresse, Fans und Journalisten zu trivial – Pop-Sache, weil dort oft wenig über die Musik zu sagen ist. Glenn Goulds Stuhl hatte Sinn für die Musik; hier geht es um Äußerlichkeiten. In der Jazzvermarktung hat sich das geändert.

Die Journalisten
Warum wird ein Hut plötzlich Presse-Thema? Spiegel Online spekuliert medizinisch, JazzTimes beschreibt ihn detailliert, fashion156.com krönt ihn Fashion Hero. Fans rätseln online. Keine Rezension ohne Aussehn-Fokus. Das verleiht Äußerlichkeiten Gewicht – bis Jazzmusiker sich vor allem durch Look abheben.

Jazz war bislang relativ unabhängig von Äußerlichkeiten; Musik zählte. Jedoch Veranstalter, Labels und Journalisten interpretieren das als Schwäche. Junge Musiker mit Wollmützen im Studio, Schals, die stören – mittelmäßige Talente überzeugen durch Redegewandtheit, Exotik, Look. Das wird hoffähiger.

Der musikalische Hut
Porter setzt auch musikalisch den Jazz-Hut auf. Wahrscheinlich hat Gregory Porter die schönste Stimme des Jazz (jazzthing.de). Ich höre bei Porter Soul à la Marvin Gaye/Stevie Wonder, 70er-Jahre, solide Rhythmusgruppe, Standard-Solisten, Songform. Gut gemachte Popmusik – Black Singer-Songwriter. Warum Jazz? Endlich einer, der nicht rumdudelt, einfache schöne Musik?

Die Jazzpresse

Die Presse recycelt Phrasen: Gospel-Wurzeln (welcher schwarze Sänger hat die nicht?), Alltagsgeschichten, Harlem, Brooklyn. Banalitäten, die jedem gelten – wäre da nicht der Hut. Porter: Im Jazz wirst du gezwungen, Melodien zu formen – anders als im Pop. Binsenweisheiten.

Beispiele:

Besser: Average White Band, Tower of Power, Ohio Players – knackiger, dafür ohne „Jazz“-Label.

Kritik zielt nicht nur auf Porter selbst, sondern auf die Jazz-Öffentlichkeitsgestalter. Mit besseren Musikern, Arrangements, Interaktion könnte es Jazz-ähnlich werden. Aber der Hut bleibt.

Edit 22.01.14: Deutsches Jazzinstitut-Newsletter zu neuem Interview: Wieder der Hut – Instantly recognisable because of his trademark ‘jazz hat’.